Geschichte Kirchenstaat

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Vor 150 Jahren begannen militĂ€rische Operationen gegen den Kirchenstaat im Zuge der Einigung Italiens. Eine wichtige Rolle in den KĂ€mpfen spielten die PĂ€pstlichen Zuaven, eine Art kirchliche ‚Fremdenlegion’.

"Von Ulrich Nersinger"

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Rom (kath.net) Italien gedenkt in diesen Tagen der Vollendung seiner staatlichen Einheit. 150 Jahre liegt der Beginn militĂ€rischer Operationen gegen den damaligen Kirchenstaat zurĂŒck; vor 140 Jahren besetzten italienische Truppen die Ewigen Stadt und setzten der weltlichen Herrschaft der PĂ€pste ein Ende. Eine bedeutsame Rolle in der militĂ€rischen Auseinandersetzung um den Kirchenstaat nahmen die PĂ€pstlichen Zuaven ein, eine Art kirchliche ‚Fremdenlegion’, ein ‚corps d’elite’, auf das man in ganz Europa mit Bewunderung schaute.


In der ersten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts war in Italien ein Nationalbewusstsein erwacht, das sich in dem Streben nach staatlicher Einheit Ă€ußerte. Dadurch wurde die UnabhĂ€ngigkeit des Kirchenstaates, dessen SouverĂ€n der Papst war, bedroht. Nachdem 1859 revolutionĂ€re Umtriebe die Romagna erschĂŒttert hatten und sie fĂŒr den Kirchenstaat verlorengegangen war, machte sich der kĂŒnftige Monarch Italiens, Viktor Emanuel II., im September 1860 auf, zwei weitere pĂ€pstliche Provinzen, Umbrien und die Marken, durch einen Feldzug zu erobern.


Es wurde dem Papst klar, dass er eine grĂ¶ĂŸere Streitmacht benötigte, um sein Territorium verteidigen zu können. Deshalb rief er die Katholiken in aller Welt zu Hilfe. Die Armee des Papstes wurde neu organisiert. Es entstanden Bataillone und Regimenter, in denen fast ausschließlich Freiwillige aus den verschiedensten LĂ€ndern Dienst taten. Eine der neu aufgestellten Einheiten war die „Compagnie des Tirailleurs Franco-Belges“ (Kompanie der französisch-belgischen SchĂŒtzen). Als der aus Frankreich stammende Kommandant der „Tirailleurs“ fĂŒr seine Truppe eine neue, bequemere Uniform suchte, besann er sich auf die Tracht des Berberstamms der Zwawa, der in Algerien an der Seite der Grand Nation gefochten hatte.


Die exotisch anmutende Uniform war von grauer Farbe (grau-blau fĂŒr die Offiziere). Sie bestand aus einer sehr kurzen, rot (bei Offizieren schwarz) gesĂ€umten Jacke, die an den unteren RĂ€ndern abgerundet war. Die kragenlose Jacke war nur am Hals geschlossen, sonst vorne offen, so dass man das mit Knöpfen geschlossene Leibchen sehen konnte. Dazu kamen weite Pumphosen, weiße Gamaschen und schwarze Stiefel. Um den Leib trugen die Zuaven eine lange rote SchĂ€rpe, die mehrfach gewunden war und zumeist durch eine Metallspange oder einen GĂŒrtel gehalten wurde. Es verging nur wenig Zeit, und man sprach von den Tirailleurs nur mehr als „Zuaven“. Am 1. Januar 1861 erhielt das Korps dann auch offiziell die Bezeichnung „Bataillon der PĂ€pstlichen Zuaven“.


Besonders aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden fanden Katholiken aller sozialen Schichten als Zuaven den Weg in die pĂ€pstliche Armee: Königliche Prinzen aus dem Hause Bourbon-Anjou und römische FĂŒrsten dienten in dem Korps ebenso wie Ärzte und Juristen aus Frankreich oder Handwerker und Bauern aus den Niederlanden – als einfache Soldaten, ohne irgendwelche Standesprivilegien. Um die pĂ€pstliche Kasse zu entlasten, waren ĂŒberall in Europa Komitees gegrĂŒndet worden, die fĂŒr den Sold der Zuaven mit aufkamen. Die Entlohnung der pĂ€pstlichen Soldaten war so gering, dass die am römischen Hof akkreditierten Botschafter dies eigens in den Berichten an ihre Regierungen vermerkten. Bald war die MannschaftsstĂ€rke des Zuavenkorps so hoch, dass das Bataillon in den Rang eines Regiments erhoben werden konnte.

Ende September 1867 schickten sich die Banden des italienischen FreiheitskĂ€mpfers Garibaldi an, in den Kirchenstaat einzufallen. ZunĂ€chst gelang es den Zuaven, die schlecht organisierten Banden ĂŒber die Grenze zurĂŒckzuschlagen. Aber schon in den KĂ€mpfen um Bagnorea, Farnese und Nerola mussten viele der Zuaven ihr Leben lassen. Zu einem blutigen Treffen wurde das Gefecht um Monte Libretti. Fast 1000 FreischĂ€rlern standen nicht einmal 90 Zuaven gegenĂŒber. Die RĂŒckeroberung des strategisch wichtigen Ortes wurde fĂŒr die Zuaven zu einer BewĂ€hrungsprobe, sollte aber auch ihren weltweiten Ruhm mitbegrĂŒnden.


Selbst Rom blieb von revolutionĂ€ren Umtrieben nicht verschont. In einem Aufruf des „Nationalkomitees“ vom 8. Oktober hieß es voller Pathos: „Das Blut der BrĂŒder, welches der pĂ€pstliche Zuave eben in den Provinzen vergießt, sei der Funke, unsere Geister zu entflammen.“ Am Abend des 22. Oktobers kam es zu einem brutalen Terrorakt in der Ewigen Stadt. Es war Verschwörern gelungen, an einer Zuavenkaserne Sprengladungen anzubringen. Das GebĂ€ude wurde durch die Wucht der Explosionen beinahe völlig zerstört. Doch blieben die dort untergebrachten Kompanien von dem Attentat verschont – die Zuaven hatten kurz zuvor ihr Quartier verlassen. Vierundzwanzig Regimentsmusiker, ĂŒberwiegend Italiener, aber fanden den Tod, ebenso zahlreiche Zivilisten.

Inzwischen waren immer mehr FreischĂ€rlerbanden in den Kirchenstaat eingedrungen; in kurzer Zeit befanden sich mehr als 15.000 „FreiheitskĂ€mpfer“ im Herrschaftsgebiet des Papstes. Garibaldi konnte so Monte Rotondo und Mentana einnehmen, zwei Ortschaften von enormer strategischer Bedeutung, von denen aus der Weg nach Rom offen stand. In den frĂŒhen Morgenstunden des 3. Novembers verließ eine dreitausend Mann starke pĂ€pstliche Streitmacht unter dem Kommando von General Hermann Kanzler die Ewige Stadt und zog in Richtung Monte Rotondo, gefolgt von dem französischen Expeditionskorps, das Kaiser Napoleon III. in aller Eile zu Schutz des Papstes nach Rom entsandt hatte. Es waren dann die Zuaven, die gegen 13.00 Uhr zur Attacke auf die zahlenmĂ€ĂŸig ĂŒberlegenen Garibaldiner ansetzten. Über mehrere Stunden tobte ein heftiges Gefecht. Als sich entgegen allem Erwarten ein Sieg fĂŒr die Truppen des Papstes abzuzeichnen begann, entschied sich Garibaldi fĂŒr den RĂŒckzug, den Großteil seiner KĂ€mpfer im Stich lassend.


Die Berichte ĂŒber den unerwarteten Sieg der pĂ€pstlichen Truppen trugen dazu bei, dass sich immer mehr Katholiken aus aller Welt fĂŒr den Dienst in der Armee des Papstes meldeten und ĂŒberwiegend um Aufnahme bei den Zuaven baten. Aus Übersee kamen mehr als 300 Kanadier zur Auffrischung des Regiments nach Rom. Der französische Kaiser ließ einen Teil des Expeditionskorps zum Schutz des Papstes in der Ewigen Stadt zurĂŒck.


FĂŒr fast drei Jahre blieb der Kirchenstaat vor grĂ¶ĂŸeren Bedrohungen verschont. Das I. Vatikanische Konzil konnte in Rom zusammentreffen und das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubensfragen definieren. Als 1870 der deutsch-französische Krieg ausbrach, sah sich Napoleon III. gezwungen, seine in Rom stationierten Soldaten abzuziehen; am 19. August verließen die letzten Franzosen die Ewige Stadt – der Kirchenstaat war nun auf sich selbst gestellt.


Am 20. August teilte General Hermann Kanzler, der aus Deutschland stammende Befehlshaber des pĂ€pstlichen Heeres, dem Papst mit, dass er ĂŒber eine Armee von mehr als 13.000 Soldaten verfĂŒge könne. Mit fast 3.000 Mann stellten die PĂ€pstlichen Zuaven das stĂ€rkste Regiment (vier Bataillone zu je sechs Kompanien sowie vier Depotkompanien; ausgerĂŒstet mit den modernsten Remington-Karabinern und Maschinengewehren der Marke „Claxton“).


Der italienische König nutzte die Gunst der Stunde und ließ seine Truppen am 11. September in den Kirchenstaat einmarschieren. In einer Audienz teilte der Papst General Kanzler mit, dass er aufgrund der Übermacht des Feindes (50.000 Mann) und eines zu befĂŒrchtenden Blutbades davon absehen wolle, von seinen Soldaten zu verlangen, bis zum letzten Mann zu kĂ€mpfen. Jedoch solle der Kirchenstaat nicht ohne Gegenwehr aufgegeben werden; das unrechtmĂ€ĂŸige Handeln des italienischen Königs mĂŒsse vor der Welt sichtbar dokumentiert werden. Die pĂ€pstliche Order, nicht bis zum letzten Bluttropfen zu kĂ€mpfen, traf vor allem die Zuaven hart. Sie wĂ€ren bereit gewesen, alles fĂŒr die Sache der Papstes zu geben.


Auch in den letzten Tagen des Kirchenstaates gaben sie noch einmal Zeugnis von ihrem Kampfgeist und Idealismus. Sie waren es, die ĂŒberall die stĂ€rkste Gegenwehr leisteten. Auch am 20. September, dem Tag der Einnahme Roms, standen die Einheiten der Zuaven an allen Kampforten in vorderster Front. Als die italienischen Truppen nach mehrstĂŒndigem Gefecht bei der Porta Pia eine Bresche in römische Stadtmauer geschlagen hatten, kam aus dem Vatikan der Befehl, das Feuer einzustellen und die weiße Flagge zu hissen. Erst jetzt gaben die Zuaven ihren Widerstand auf. Der amerikanische Konsul schrieb in seinem Bericht an das State Department in Washington: „Die Zuaven konnten ihr bestes nicht geben. Was fĂŒr eine bewundernswerte und herrlich anzusehende Truppe!“ Das pĂ€pstliche Heer musste kapitulieren; der alte Kirchenstaat hatte aufgehört zu existieren. Der Papst zog sich als freiwilliger Gefangener in den Vatikan zurĂŒck. Die Zuaven mussten den nunmehr italienischen Boden verlassen.


Auch nach dem Ende des Kirchenstaates zogen viele der pĂ€pstlichen Soldaten den Waffenrock nicht aus. Ein Großteil der aus Frankreich stammenden Zuaven stellte sich als „Legion des Volontaires de L’Ouest“ fĂŒr den Kampf in der Heimat zur VerfĂŒgung. Und im Spanien des Jahres 1872 fochten viele Angehörige des Eliteregiments im „Bataillon Carlistischer Zuaven“ fĂŒr die Rechte des spanischen ThronprĂ€tendenten Don Carlos.


In Frankreich, Kanada und den Beneluxstaaten fanden sich die ehemaligen Zuaven in Vereinigungen und Organisationen zusammen, die anfĂ€nglich darauf abzielten, dem Papst zur VerfĂŒgung zu stehen, sobald er sie wieder benötigen sollte. SpĂ€ter machten es sich die Alt-Zuaven zur Aufgabe, einander zu unterstĂŒtzen und auf kirchlichem und sozialen Gebiet tĂ€tig zu werden. Am 27. September 1946 starb Petrus Verbeek, der letzte noch lebende europĂ€ische Zuave. Er gehörte zu den 3200 NiederlĂ€ndern, die von 1860-1870 im PĂ€pstlichen Zuavenregiment gedient hatten. In Erinnerung an ihn und seine Kameraden wurde in Oudenbosch bei Breda ein Museum errichtet, das noch heute besteht und besichtigt werden kann ([www.zouavenmuseum.nl]).